25.11.1998: Teppichwälzkoma und die ewige Verdammnis

Kabarettistin Gabi Lodermeier in der Stiege: Religionslehrerin überreicht Schlüssel zur Hölle - Ein Rausch zur rechten Zeit wirkt Wunder

Des Menschen Lebenslauf ist zwangsläufig. Zumindest jener von Gabi Lodermeier. Bei der Erziehung, die die höhere Tochter genossen hat, blieb der Münchnerin nur dieser Beruf, den sie mit Hingabe und meisterlicher Sprachbetrachtung zur Berufung macht. Kabarettistin ist sie geworden, und was für eine. Das haben auch die rund 100 Zuschauer bei uns im Club bemerkt, denen die Lodermeier ihr Tagebuch öffnete. Angefangen hat alles im Schuhgeschäft. Da musste die Gabi feststellen, dass einige Wörter zweideutige Inhalte wiedergeben. Die Mutter hat ihr ganz schnell beigebracht, dass es Schuhe mit "Schnoin" nicht gibt, weil Schnallen ja ein sehr schlecht beleumundetes Berufsbild haben. "Pfui, das sagt man nicht!" Ab sofort muss das "Schließe" heißen. Diese Episode determiniert Gabi Lodermeiers Werdegang in zweifacher Hinsicht. Zum Einen halten sich die verfemten und schon deshalb interessanten Schnoin vor Theatern auf, was Gabis Faszination fürs Theater begründet. Zum Andern wird die parodistische Ader der Gabi geweckt. Schnoin muss fürderhin durch Schließe ersetzt werden - Gürtelschließe, sich den Schulpack anschließen, die Skier abschließen. Und nach der Eingewöhnungsphase kommt das aufgeweckte Kind in die Trotzphase - Mutters Forderung wird hinterfragt, das Phänomen umgekehrt. Da kommen dann - zwangsläufig - groteske Goaßlschließzer, Augen, die sich für immer schnallen und geschnallte Anstalten heraus. Die Eigenheiten der Muttersprache prägen Lodermeiers Vortrag. Das ist kein gewöhnliches Kabarettprogramm, kündigt sie an, mehr eine Lesung, und zwar aus dem Tagebuch. Trotzdem ist die Vorstellung nicht statisch, da ist Platz genug für Grimassen, Verrenkungen, viel sagende Blicke. Ihr schauspielerisches Talent lebt sie auch in einer Lesung voll aus. Mit Dialekten, vor allem mit bairischen, tut sie sich leicht. Hou, hou - soviel Oberpfälzerisch kann im Publikum noch jeder, um das zu verstehen. Den sprachakrobatischen Tiraden des ehemaligen Hausmädchens Thea, deren Ausflug ins heimische Grafenwöhr die Lodermeier nacherzählt, kann keiner mehr folgen. Der Zuschauer begleitet die kleine Gabi durch die Kindheit, die Schulzeit mit ihren Fährnissen samt Orffschem Schulwerk und Klavierunterricht. Dazu gehört das Teppichwälzkoma ihres Bruders Hans-Ernst, der der mathematisch unbeleckten Gabi ein bisschen Nachhilfe geben muss. Wie's so ist mit der Engelsgeduld großer Brüder - da werden Hände gerungen, über dem Kopf zusammen und an die Stirn geschlagen, Augen gerollt, in Stuhllehnen gebissen, im Sessel rotiert, da wird sich auf den Boden geworfen und sich gewälzt. Der geistige Schmerz des Bruders wird zum ganz realen Schmerz Gabis. Ihre ständige Verweigerung der mathematischen Nahrungsaufnahme wird bestraft: "Pferdekuss fällig oder wos?" Lodermeier rotiert, ihren verzweifelten, entnervten, bebindestrichten Gynäkologen-Bruder Hans-Ernst imitierend, im Lehnstuhl; sie macht die Nöte der Wissenden sichtbar. Wer hat ihn, den Schlüssel zur christkatholischen Hölle? Natürlich die Gabi, überreicht von der Religionslehrerin. Wenn man was über Todsünden lehrt, muss man das ja illustrieren, sonst können sich die Schülerlein ja nichts drunter vorstellen. Was für Todsünden können Neunjährige begreifen? Am Sonntag nicht in die Kirche zu gehen, zu fluchen, bei der Eucharistie die Hostie zu zerbeißen, das macht die Lehrerin den Kindern zu Todsünden. Doch der Trost, die Hoffnung bleibt nicht aus. Ablass stellt die Religionslehrerin in Aussicht - am Samstag ist Beichtgelegenheit. Der Reiz zu Fluchen übermannt die Gabi. Der Reiz wird - wieder zwangsläufig - umso größer, je klarer es verboten wurde. Dann wird man ruchlos, das Wort "Kruzifix" könnte ewige Verdammnis nach sich ziehen, zumal am Montag gebraucht die samstägliche Beichte noch in weiter Ferne ist und es genügend Gelegenheit während der Woche geben könnte, sein sündiges Leben auszuhauchen. Aber mit vier billigen Vaterunsern werden solche Sünden am Samstag aus der Welt geschafft. Mit der Musik macht das Schulmädchen auch so seine Erfahrungen. Die Musiklehrerin, das Fräulein Flach, ist dem Rhythmuswahn verfallen, ihr Kopf schnellt nach vorn, am Hals treten Sehnen hervor, von deren Existenz man bislang nur sanfte Ahnungen hatte, Mundwinkel streben nach unten, und dann wird ein Takt geklatscht. Lodermeier wird Fräulein Flach - bizarr und deshalb authentisch. Das Publikum verfolgt Gabis musikalische Entwicklung von der Mitklatscherin über die das Instrument gegen die Heizung schlagende Flötenmalträtiererin bis hin zur Pianistin. Und da hat sie dann auch ihr erstes großes Vorspielen vor richtig viel Publikum mit richtig viel Lampenfieber. Aber natürlich findet sich eine mitleidige Seele, der Otto, der sie mit Schnaps jeder Geschmacksrichtung abfüllt. Der Schnaps, der Stuhl, die Umhängetasche, ihr kleiner Finger und Beethovens Albumblatt "Für Elise" werden ihr zum Verhängnis, das Vorspielen wird desaströs, allerdings nur rein musikalisch. Fehlinterpretationen seitens der Zuhörer, die den Katastrophenauftritt Gabis miterleben konnten und als saukomisch erachtet haben, dürfen nicht außer Acht gelassen werden: "Solche Patzer muss man erst einmal zusammenbringen!" Die kleinen Dramen sind's, die den Menschen aus der Bahn werfen, in eine andere Bahn, womöglich auch noch in eine kabarettistische. Pfui Deife!
      
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